Faulenzen in der sozialen Hängematte? Von wegen!
Ob Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder andere Leistungen zur Sicherstellung des Lebensbedarfs – regelmäßig wird Bezieher*innen unterstellt, es sich auf Kosten anderer gut gehen zu lassen; und das zumeist von Personen, die vermutlich nie in vergleichbaren Situationen waren. Zwischen brüchigem Auffangnetz und Wohlfühlcharakter – ein kurzer Überblick über die “soziale Hängematte”.
Es scheint, als würden sich die Menschen besonders gerne vor Wahlkämpfen an die soziale Hängematte erinnern. Von Gerechtigkeit ist dann häufig die Rede, und davon, dass schließlich jede*r einen gesellschaftlichen Beitrag leisten müsse. Nicht selten kommt es auch vor, dass gleich noch Ursachen für das vermeintlich sorglose Baumeln in der Hängematte mitgeliefert werden: Faulheit, mangelnde Motivation oder Bildung, bis hin zum Sozialtourismus werden verächtlich angeprangert.
150 € monatlich zum Leben? Ja, wenn man die Wohnung [Miete bis zu 563 €] auch noch bekommt, also dann sicher.
ehemalige österreichische Sozialministerin 2018
Solcherlei Aussagen und Andeutungen sind keine Einzelbeispiele. Häufig stammen sie von einflussreichen Personen, etwa von Politiker*innen oder Medienschaffenden, die meist wesentlich mehr Geld zur Verfügung haben, und sich wohl in keiner Weise in die Lebenslage Armutsbetroffener hineinversetzen können. Dennoch sind es gerade diese Personen, die sich sehr weit aus dem Fenster lehnen, wenn es darum geht, wie leicht es möglich sei, mit noch weniger Geld über die Runden kommen zu müssen.
Vorübergehender Rollentausch, Hartz-IV-Fasten und andere Kuriositäten
Obgleich es als Reaktion auf abgehobene Vorstellungen, von nur fünf Euro am Tag leben zu können, schon zahlreiche Gegenstimmen gab, die dazu aufforderten, eben dies vorzuleben, war bislang noch niemand dazu bereit, es auf den Selbstversuch ankommen zu lassen. Ernüchternd ist das einerseits, da es sich um öffentlichkeitswirksame Aussagen handelt, die manchen den Eindruck vermitteln, man könne sozialstaatliche Leistungen problemlos kürzen – ohne dabei Schaden anzurichten, und andererseits, weil es all jene Menschen abwertet, die tatsächlich von so geringen finanziellen Mitteln leben müssen und bereits mit zahlreichen Benachteiligungen und Entbehrungen konfrontiert sind.
Zwar gab es bereits diverse, meist kursiose Versuche, den Alltag von Menschen mit wenig Geld widerzuspiegeln; jedoch waren die Ansätze eher fragwürdig. So tauschen in Doku-Soaps, die als Sozialexperiment betitelt werden, reiche Familien für etwa eine Woche ihre Wohung und ihr wöchentliches Budget mit finanziell benachteiligten Familien. Zu einem anderen Selbstversuch ermunterte eine Kirchengemeinde aus Deutschland vor einigen Jahren: Durch Hartz-IV-Fasten, also nur jenes Geld für Lebensmittel auszugeben, das auch Arbeitslosengeldempfänger*innen zur Verfügung steht, wollte die Gemeinde zu mehr Bewusstsein über Benachteiligungen beitragen. Nur allzu schnell wird dabei aber vergessen, dass sich Armutsbetroffene nicht nach Lust und Laune aus ihren teils sehr belastenden Lebenslagen herausmanövrieren können.
Sicher wollen wir nicht alle Menschen über einen Kamm scheren – mag sein, dass es einige Armutsbetroffene gibt, die nicht unter ihrer Situation leiden. Doch wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, nimmt man auch hierzulande so einiges wahr: junge Menschen, die wohnungslos sind, weil die Miete – oft trotz Erwerbsarbeit – kaum mehr erschwinglich ist, Familien, die sich den Eintritt ins Schwimmbad nicht mehr leisten können oder Pensionist*innen, die sich in einem vermeintlich unbemerkten Moment im Supermarkt Fleisch oder Käse in die Manteltasche stecken.
Wer baumelt denn nun in der sozialen Hängematte?
Laut der Armutskonferenz sind vor allem Kinder, Frauen im höheren Alter, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen und Personen ohne Staatsbüger*innenschaft armutsgefährdet. Als alleinstehende*r Pensionist*in von nur 1.217,96 Euro pro Monat zu leben (dem Richtsatz, der 2024 für die Pensions-Ausgleichszulage herangezogen wird), ist alles andere als ein Zuckerschlecken – besonders, wenn man daran denkt, dass speziell im fortgeschrittenen Alter oft Zusatzkosten für gewisse Erkrankungen und Gebrechen auf einen zukommen. Doch auch Langzeitarbeitslose, die in einigen Fällen aufgrund von Krankheit nicht mehr arbeiten können oder wegen höherem Alters nicht mehr eingestellt werden, sind häufig mit immensen finanziellen Hürden konfrontiert, die sich seit den gestiegenen Preisen für Miete, Energie oder Lebensmittel nur verschärft haben.
Fest steht: Sozialstaaten und ihre Leistungen sind wichtig, um einen Ausgleich zu schaffen, und Menschen, die sich häufig in ohnehin schon schwierigen Situationen befinden, vor existenzbedrohenden Notlagen zu schützen. Fest steht aber auch, dass die Leistungen ein menschenwürdiges Leben sichern und ihre Bezieher*innen nicht in die Armutsfalle treiben sollten. Die insbesondere gerne von wohlhabenden Menschen angeprangerte soziale Hängematte ermöglicht den meisten also kein, wie so oft unterstelltes, Baumeln mit Wohlfühlcharakter, sondern eher ein Taumeln vor dem finanziellen Abgrund, geprägt von zahlreichen Einschränkungen und Entbehrungen. All jene Menschen darüber hinaus noch öffentlichkeitswirksam herabzuwürdigen, ihnen ein bequemes und angenehmes Leben auf Kosten der Bevölkerung zu unterstellen, und zudem leichtfertig über mögliche weitere Kürzungen zu urteilen, ohne selbst jemals betroffen gewesen zu sein, ist nichts anderes als der populistische Versuch, Menschen gegeneinander aufzuhetzen und den Sozialneid “nach unten” zu schüren.